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Demokratie

Was bedeutet eigentlich Demokratie? Was kann sie ? Und wo sind ihre Grenzen?

es gibt eine Vielzahl an Veröffentlichungen die sich genau dieser Frage widmen. Auch wir haben uns als Verein intensiv mit diese Frage beschäftigt und möchten deshalb hier einen Ausschnitt aus einem von einem unserer Mitglieder verfassten und noch unveröffentlichten Abschlussarbeit veröffentlichen. 

Uns interessiert auch deine Meinung. Schreibe uns doch gerne einen Kommentar und erzähl uns was du mit Demokratie verbindest!

Quelle: Gagelmann, J. (2020). Demokratie- und Politikkompetenzen. Eine Analyse ausgewählter Zielperspektiven und Konzepte demokratisch-politischer Bildungsarbeit. unveröffentlicht.

Demokratie

Klassisch wird Demokratie als Bezeichnung für eine Herrschaftsform verstanden. Wörtlich aus dem Griechischen übersetzt bedeute, Demokratie „Herrschaft des Volkes“, was laut Thurich (2011, S. 17) aber wenig bei einer Definition weiterhilft, da sich mittlerweile auch Diktaturen als „wahre Demokratie“ bezeichnen würden. Demnach kann Demokratie erstmal als Selbstbeschreibung eines Staates aufgefasst werden, welche zwar positiv besetzt ist, aber nichts über die Realität aussagt (ebd.).

Betrachtet man die Vielzahl an Publikationen zu Demokratie wird man vergebens nach einer konsensfähigen Definition von Demokratie suchen. Durch die Pluralität der Wissenschaft und den unterschiedlichen Teildisziplinen, die sich mit Demokratie beschäftigen, kann es laut Guggenberger (1989, S. 130 zit. n. Himmelmann, 2016, S. 33 ) nur „konkurrierende Demokratieauffassungen“ geben. So wurde Demokratie u. a. schon als Kultur (Rüb, Selk & Trimҫev, 2020, S. 41), Herrschaftsform (Hättich, 1967), sowie als Ordnung und Lebensform (Roos, 1981) beschrieben.

Eine Auffassung, die seit den 2000ern immer mehr Beachtung findet und mittlerweile als Grundlage vieler schulischer und außerschulischer Konzepte zur demokratisch-politischen Bildung genutzt wird, ist eine Definition, die von Gerhard Himmelmann geprägt wurde. Er beschreibt Demokratie als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform (Himmelmann, 2016, S. 37). Der Begriff soll laut Himmelmann (ebd.) fachwissenschaftliche und fachdidaktische Kompetenzen für politische Bildung bündeln und dabei eine pragmatische Perspektive in der Schule eröffnen. Die Definition ermöglicht mit Hilfe der drei klassischen sozialwissenschaftlichen Ebenen (Mikro-, Meso- und Makroebene) einen systemischen Blick auf Demokratie.

Wichtig in dieser Auseinandersetzung ist, dass eine fachdidaktische Diskussion um den Demokratiebegriff nie so komplex betrieben werden kann, wie politikwissenschaftliche Demokratietheorie dies tut (ebd., S.35). Denn genau diese Reduktion der Komplexität und praktische Akzentuierung sei Aufgabe der Fachdidaktik (ebd.).

Demokratie als Lebensform

Das Konzept der Demokratie als Lebensform spielte laut Himmelmann (2016, 40f.) in der Nachkriegszeit kaum eine Rolle, wurde aber in der neueren Demokratieforschung wiederentdeckt und u. a. unter den Begriffen „Demokratie als Kultur“ und „bürgerschaftliches Engagement“ diskutiert. Auch in der pädagogischen Psychologie und den neueren Reformbewegungen der Pädagogik taucht laut Himmelmann (2004, S. 9) „der Begriff Demokratie als Lebensform auf“.  Das ursprüngliche Konzept fußt auf einer „amerikanischen Demokratieauffassung“, die schon 1835 durch Alexis Tocqueville vertreten wurde (ebd.). Aufgegriffen und maßgeblich geprägt wurde das Konzept aber von John Dewey (1916), der Demokratie als „Form des Zusammenlebens“ verstand (ebd.).

„Die Demokratie ist mehr als eine Regierungsform; sie ist in erster Linie eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsamen und miteinander geteilten Erfahrung.“ (Dewey & Oelkers, 2011, S. 121)

Dewey legt in seiner Betrachtung den Fokus auf die soziale Ebene von Demokratie. Für ihn ist Demokratie das Produkt aus freier Wechselwirkung zwischen sozialen Gruppen, dauernder „Umgestaltung des sozialen Verhaltens“ und „das wechselseitige Interesse als Faktor in der Regelung sozialer Beziehungen“ (Dewey & Oelkers, 2011, S. 120).

„Das klare Bewusstsein eines gemeinschaftlichen Lebens, mit allem, was sich damit verbindet, konstituiert die Idee der Demokratie“ (Dewey, 1996, S. 129 zit. n. Himmelmann, 2016, S. 43).

Das „Prinzip des assoziierten Lebens, als die Idee des Gemeinschaftslebens selbst“ entspricht laut Himmelmann (2004, 10f.) einem „freien, gleichen und fairen wechselseitigen Verkehrs der Menschen untereinander – jenseits von Dogmatismus, Ideologie, Letztbegründung oder Zwangsherrschaft, auch jenseits von  Egoismus, Alleinsein, Ausgrenzung oder Rückzug ins Private“ und ist somit normativ im Sinne von Freiheit und Gleichheit geprägt.

Demokratie als Lebensform ist somit auch an die „individual- und soziomoralischen Grundlagen der bestehenden politischen Demokratie“ gebunden (ebd., S.9). Die politische Demokratie muss also als Voraussetzung und Instrument verstanden werden, „um ein den Menschen gerecht werdendes Zusammenleben in einem größeren Raum zu ermöglichen. (Himmelmann, 2016, 42f.).

Wenn man diesen Annahmen folgt, wird die Notwendigkeit von sowohl sozial-kooperativen Fähigkeiten als auch einer normativen, auf Werten basierenden Demokratie deutlich. Beides kann sinnstiftend für die Erziehung zur Demokratie sein.

Der Begriff, der das zentrale Momentum des Lernens bei Dewey beschreibt, ist die Erfahrung (Himmelmann, 2016, S. 47). Erziehung kann somit als „Erneuerung, Vertiefung und Mehrung“ (ebd.) dieser Erfahrungen verstanden werden:

„Erziehung muss darauf abzielen, die Erfahrungsmöglichkeiten  der Kinder in Bezug auf sich selbst und in ständiger Wechselwirkung mit der sächlichen und gesellschaftlichen Umwelt stets neu zu organisieren und damit eine Bereicherung und ein Fortschreiten des Wachstums von Erfahrung zum Zwecke der Lösung praktischer Probleme zu ermöglichen“ (ebd.).

Demokratisch-politische Bildung sollte folglich einen Raum für diese soziale Interaktion bieten, damit über die Einübung von Toleranz, demokratischer Gesinnung und demokratischer Verhaltensweisen schließlich auch zur moralischen Verantwortung für das Gemeinwesen“ befähigt wird. Im Vordergrund steht laut Himmelmann (2004, S. 9) „die Ermöglichung der Sammlung von konkreten Erfahrungen mit lebens- und gesellschaftsnaher Demokratie in vielfältigster Form“.

Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass „Demokratie auch in den Haltungen und in der Lebenspraxis der Menschen“ verankert sein muss (Himmelmann, 2007, S. 8). Zu den Prinzipien, die Demokratie als Lebensform beschreiben gehören laut Himmelmann (ebd.):

„Autonomie, Selbstständigkeit und Selbstverantwortung der Einzelnen, zwischenmenschliche Gleichberechtigung, Respekt und Achtung, Toleranz und Anerkennung des anderen (des Fremden), Kooperation zu gemeinsamen Zwecken, Aufgeschlossenheit, Verantwortung und Engagement für Belange der Öffentlichkeit, Diskurs-, Kompromiss- und Konfliktfähigkeit, freiwilliges Eintreten für die Werte und Prinzipien von Demokratie“.

Außerdem führt er Gewaltverzicht als praktische demokratische Verhaltensweise an (Himmelmann, 2004, S. 10) Demokratie als spezifische Form des Zusammenlebens braucht sowohl spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten als auch Einstellungen und Werte. Demokratie muss also gelernt werden, um sie zu leben (Fischer zit. n Himmelmann, 2004, S. 6) und gelebt werden, um sie zu lernen (Behrmann zit. n Himmelmann, 2004, S. 6). Demokratie-Lernen muss somit als lebenslanger Prozess verstanden werden.

Demokratie als Herrschaftsform

Wie einleitend in diesem Kapitel beschrieben, gibt es keine einheitliche Definition von Demokratie (auch als Regierungsform). Bestimmte Merkmale lassen jedoch einen Schluss darauf zu, „ob eine Staatsordnung wirklich demokratisch ist“ (Thurich, 2011, S. 75). Laut Himmelmann (2007, S. 7) können im Allgemeinen, die

„Gewährleistung der Menschen und Bürgerrechte, Bestellung der staatlichen Herrschaft durch Wahlen (Volkssouveränität), Parlamentarismus, Verantwortlichkeit der Regierung, Gewaltenteilung, Rechtmäßigkeit der Verwaltung, Unabhängigkeit der Justiz (Rechtsstaat), Entscheidung nach der Mehrheitsregel (bei Minderheitenschutz) und ungehindertes Recht auf Opposition“

als Grundprinzipien für Demokratie angesehen werden.

In Deutschland wurde hierfür durch das Bundesverfassungsgericht die freiheitlich demokratische Grundordnung definiert (Thurich, 2011, S.75). Sie umfasst:

  • „Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung,
  • die Volkssouveränität,
  • die Gewaltenteilung,
  • die Verantwortlichkeit der Regierung,
  • die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,
  • die Unabhängigkeit der Gerichte,
  • das Mehrparteienprinzip und
  • die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Ausübung einer Opposition“ (ebd., 82f.).

Dieser Begriff in seiner Ausrichtung auf den Staat ist aber laut Himmelmann (2004, 7f.) verkürzt, da er das Demokratie-Lernen ausschließlich auf den Bereich des Staates, seiner Funktionen und Aufgaben eingrenzen würde. Eine „offene, zukunftsgerichtete“ und normative Dynamik bekommt der Demokratiebegriff aus einer philosophischen Perspektive, die Demokratie als Form menschlicher, gesellschaftlicher und politischer Kooperation beschreibt und dabei die Herrschaftsform Demokratie als „ Instrument und Motor der sozialen Evaluation und der Melioration der bestehenden Verhältnisse interpretiert“ (ebd.).

„Demokratie, werden wir deshalb sagen, ist die Verfassungsform, die dazu bestimmt ist, allererst die gesellschaftlichen Bedingungen einer selbstbestimmten Lebensführung des Subjekts als einer von Sinn bestimmten Lebensführung zu schaffen“ (Dux, 2019, S. 5).

„Die Herrschaftsform Demokratie rechtfertigt sich nur durch die Sicherung einer bestimmten Lebens- und Gesellschaftsform“ (Himmelmann, 2016, S. 189).

Das Instrument „politische Demokratie“ soll also den vorangegangenen Interpretationen folgend, die Rahmenbedingungen schaffen, um Demokratie als Lebens- und Gesellschaftsform zu ermöglichen. Laut Himmelmann (2016, S. 190) sind somit „Demokratie als Lebensform und Demokratie als Gesellschaftsform Voraussetzungen und zugleich Ziele der Demokratie als Herrschaftsform“.

Um Demokratie als Lebens- und Gesellschaftsform zu gewährleisten muss sich Demokratie als Herrschaftsform u. a. den Kernfragen, wie demokratische Prozesse und Teilhabe von Bürger*innen organisiert werden kann, stellen. Diese Grundfrage ergibt sich schon aus der wörtlichen Übersetzung von Demokratie als „Herrschaft des Volkes“ und dem vermeidlichen Paradox gegenüber der repräsentativen Demokratie (Himmelmann, 2016, S. 205). Laut Himmelmann (ebd.) ist hierbei besondere Achtsamkeit der politischen Bildung bei Begrifflichkeiten geboten, da immer wieder nicht nur bei Schüler*innen die Vermutung nahe liegen würde, dass in einer Demokratie nur dasjenige „legitime“ Anerkennung finden könne, was das Volk selbst (…) entschieden habe. Der Gedanke, dass das Handeln der konkret Regierenden mit dem Volkswillen übereinstimmen müsse, könne zu einer Frustration über Demokratie führen.

Die Demokratie als Herrschaftsform ziele zusammenfassend auf folgendes ab:

  • „auf die Verhinderung von Willkür und Machtmissbrauch u. A. durch die Begrenzung von Macht durch institutionelle Machtteilung,
  • auf die Sicherung der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes durch Parlamentisierung der Herrschaftsausübung und die Bindung der Herrschaftsausübung und die Bindung der Herrschaftsberechtigung an die Volkssouveränität
  • auf Wettbewerb unter den Parteien im Kampf um Macht und Einfluss im Kampf um die zeitlich begrenzt verliehene Herrschaftsberechtigung,
  • auf die ergänzende Bindung von Herrschaft durch Öffentlichkeit, kommunikative Dialoge und das Recht auf Opposition,
  • auf die vielfältigen direktdemokratischen Komponenten der politischen Willensbildung und der bürgerlichen Interessenartikulation,
  • auf verfassungsmäßig verankerte grundlegende Werteentscheidung sowie auf einer wohl erwogen aufeinander abgestimmten Ordnung der repräsentativen Institutionen oder Organe der Demokratie und
  • auf die Berücksichtigung möglichst vielfältiger Werte und Interessen der in legitimer Weise an der demokratischen Willensbildung und Entscheidung Beteiligten, vor allem durch Verhandlungen“ (Himmelmann, 2016, S. 262)

Für Himmelmann sind diese Prinzipien nicht nur Merkmale, die einen demokratischen Staat ausmachen, sondern vielmehr leitende Bezugspunkte, auch für schulische politische Bildung (ebd., S. 263). Zusammenfassend kann man sagen, dass Demokratie als Herrschaftsform sich mit den großen Fragen der Organisation und Legitimation von Demokratie beschäftigt und dabei sowohl Rahmen, Ziel und Bezugspunkt für Demokratie als Gesellschafts- und Lebensform bietet. Demokratie als Herrschaftsform ist dabei normativ und gibt durch seine Definition Werte für das Zusammenleben vor. Für die politische Bildung bietet sie ein Reflexionsmedium und laut Himmelmann (2016, S. 263) sind die Prinzipien, die Prüfsteine, anhand derer man erkennen kann, „ob der politische Unterricht das Demokratie-Lernen wirklich ernsthaft betreibt“.

Demokratie als Gesellschaftsform

Während Demokratie als Lebensform (Mikroebene) die sozialen Handlungen fokussiert, geht es bei der Demokratie als Herrschaftsform (Makroebene) vor allem um Strukturen. Die hier entstehende Lücke zwischen Handlungs- und Strukturebene ist ein typisches Problem in der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung, welches als „Mikro-Makro-Problem“ beschrieben wird (Donges, 2012, S. 217). Eine Verbindung schafft dabei die Mesoebene, die sich als weitere analytische Ebene sich mit Organisationen befasst (ebd.). Organisationen sind laut Donges (ebd.) „sowohl (korporative) Akteure, die gegenüber anderen korporativen Akteuren in der Gesellschaft handeln als auch Strukturen, in denen individuelle Akteure handeln“ und nehmen somit eine vermittelnde Rolle zwischen Mikro- und Makroebene ein (ebd.). Mikro und Makroebene, sind also immer auch ein Teil der Mesoebene.

Auch Himmelmann (2016, S. 122) führt neben der Demokratie als Herrschafts- und Lebensform, mit Demokratie als Gesellschaftsform, eine dritte Ebene ein.  Durch das „Zwitterdasein“ (Donges, 2012, S. 217) der Mesoebene, ist klar, dass Demokratie als Gesellschaftsform auch immer Dimensionen der anderen beiden Ebenen Inne hat. Eine Abgrenzung zwischen Demokratie als Lebensform und Gesellschaftsform ist zwar nicht ohne weiteres möglich, trotzdem beschreibt die Gesellschaftsform Demokratie mehr, als das was durch die Lebensform beschrieben werden kann (ebd.). Wie das Wort Gesellschaftsform schon vermuten lässt bezieht sich die Mesoebene von Demokratie auf „die Gesellschaft“, die aber selbst nur schwer sichtbar gemacht werden kann (ebd.).

„Die demokratische Gesellschaft hat keinen Namen keine Postadresse, keinen Briefkasten, kein Gesicht und auch kein konkretes Gesicht […] kein Zentrum, keine Spitze und kein Zentralorgan […]. Sie ist vielmehr ein funktional ausdifferenziertes Geflecht von einzelnen Leistungsbereichen des kollektiven Zusammenlebens, die wir nur als komplexes System von Aufgaben, Strukturen und Rollen, die die Menschen in diesen Teilsystemen ausfüllen, erfassen können“ (ebd., S. 122f.)

Die Gesellschaft ist in dem Sinne ein Sammelbegriff, der laut Himmelmann (ebd., S. 123) folgende Teilsysteme umfasst:

  • „Familie und Erziehung,
  • Kunst und Kultur, Wissenschaft und Religion,
  • Sport, Freizeit und Erholung,
  • Berufs- und Arbeitswelt,
  • Wirtschaft, Produktion und Verteilung
  • Sozialordnung (Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Fürsorge etc.) oder von
  • technischen Systemen u.a.“

Kollektive historische Erfahrungen, spezifische Werte, sowie Traditionen und kulturell verankerte Lebensstile definieren dabei die Gesellschaft (Himmelmann, 2016, S. 123). Sie sind Grundlage dessen, was eine Gesellschaft ausmacht und werden laut Himmelmann (ebd.) durch „die Leistungen und Strukturen der Teilsystemen für das Ganze und durch bestimmte koordinierte Beziehungen (Interaktionen) unter den Teilsystemen, durch Tauschrelationen und organisatorische Verklammerungen und durch überlappende Zugehörigkeiten der Menschen zu diesen Teilsystemen“. In diesem Kontext muss der Begriff der Demokratie als „eine besondere strukturelle Verfasstheit“, eine normative, historisch entstandene Ausrichtung, von dem was Gesellschaft ist, verstanden werden (ebd.). Als Kern einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft bezeichnet Himmelmann (2016, S. 126) die besonderen Regulierungssysteme von:

  • „Pluralismus und Gruppenkoordination
  • Konflikt und Konfliktregulierung
  • Konkurrenz, Markttausch und Solidarität,
  • Offenheit und Öffentlichkeit sowie
  • Zivil- und Bürgerschaftlichkeit“

Es sind genau diese „Prinzipien der gesellschaftlichen Selbstregulierung“, die Grundlage und gleichzeitig Qualitätsmerkmal der Demokratie als Herrschaftsform bilden (Himmelmann, 2017, S. 126 & 2007, S. 7). Während in totalitären Systemen gesellschaftliche Teilsysteme mit Gewalt und Macht, also autoritär „verklammert“ würden, halte eine freiheitlich demokratische Gesellschaft durch Pluralität, Multipolarität, Offenheit und Konfliktfähigkeit zusammen. (Himmelmann, 2016, S. 124). Als Kern der Demokratie als Gesellschaftsform können somit laut Himmelmann:

„Pluralismus der Parteien, Interessenverbänden und Bürgervereinigungen, Verzicht auf Gewalt in den Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Interessen und Gruppen friedliche Konfliktregulierung durch Verhandlungen und Mitwirkung der Betroffenen, Unabhängigkeit und Vielfalt der Medien (Öffentlichkeit), Regulierung wirtschaftlicher Interessengegensätze durch den Wettbewerb am Markt, angemessene Formen des sozialen Ausgleichs und Existenz vielfältiger Sphären bürgerschaftlicher Selbstverwaltung und Selbstorganisation [konstatiert werden]“ (Himmelmann, 2007, S. 7).

Während „die Erfahrung“ im Fokus der Demokratie als Lebensform steht und damit stark auf pädagogisch erzieherische Praxen der politischen Bildung bezogen ist, geht es bei der Demokratie als Gesellschaftsform also um abstraktere Themen der politischen Bildung, weshalb ein systematischer Wissens- und Verständniserwerb wichtig sei (Himmelmann, 2016, S. 122). Mit den gesellschaftlichen Teilsystemen gehen thematische Grundfragen zu Ökonomie, Bildung, Sozialem, usw. einher. Die auf Demokratie-Lernen bezogene politische Bildung muss diese Grundfragen systematisch thematisieren und erarbeiten. (Himmelmann, 2016, S. 125). Demokratie als Gesellschaftsform kann gewissermaßen als ‚Königsdisziplin‘ verstanden werden. Es geht in ihrem Zusammenhang nicht mehr ‚nur‘ um soziales Handeln oder ‚nur‘um abstraktes Wissen über den Staat, sondern um das, was als Verhältnis zwischen beiden Ebenen entsteht. Es geht nicht mehr nur darum wie sich Personen zueinander verhalten, sondern wie sie sich einzeln oder zusammen zu und innerhalb der Strukturen verhalten. Wie auch schon bei der Lebensform kann das Verstehen von Demokratie als Gesellschaftsform noch weitere praktische Perspektiven auf demokratisch-politische Bildung geben. Wenn Demokratie sich durch Wirkungsprozesse zwischen Individuen und Strukturen definiert, müssen diese sichtbar und erfahrbar für Schüler*innen gemacht werden. Gerade dies kann durch eine Betrachtung von (zivilgesellschaftlichen) Institutionen wie Schule und Vereinen erreicht werden. Hier trifft sich Demokratie als Lebensform mit der Demokratie als Herrschaftsform und bezeichnet damit genau das, was Demokratie als Gesellschaftsform meint.

„Demokratie muss […] als Lebensform erfahren, gelernt und gelebt, als Gesellschaftsform erkannt und akzeptiert, und als Herrschaftsform in ihrer Wertigkeit angemessen verstanden werden, um Anerkennungsdefizite zu vermeiden und langfristig ihre zweifellos vorhandene Legitimation erhalten und täglich erneuern zu können“ (Himmelmann, 2016, S. 125).

Literatur:

Dewey, J. & Oelkers, J. (2011). Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik; mit einer umfangreichen Auswahlbibliographie (5. Aufl.). Weinheim & Basel: Beltz Taschenbuch

Donges, P. (2012). Politische Organisationen als Mikro-Meso-Makro-Link. In T. Quandt & B. Scheufele (Hrsg.). Ebenen der Kommunikation. Mikro-Meso-Makro-Links in der Kommunikationswissenschaft. (1. Aufl., 217-231). Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss.

Dux, G. (2019). Demokratie als Lebensform. Die Welt in der Krise des Kapitalismus (2. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS.

Hättich, M. (1967). Demokratie als Herrschaftsordnung (Ordo Politicus, Bd. 7). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Himmelmann, G. (2004). Demokratie-Lernen: Was? Warum? Wozu? BLK – Beiträge zur Demokratiepädagogik. Zugriff am 04.08.2020. Verfügbar unter https://www.pedocs.de/frontdoor.php?source_opus=216

Himmelmann, G. (2007). Bedeutungsgehalte von Demokratie. In G. de Haan, W. Edelstein & A. Eikel (Hrsg.), Qualitätsrahmen Demokratiepädagogik. Demokratische Handlungskompetenz fördern, demokratische Schulqualität entwickeln (S. 7–12). Weinheim: Beltz.

Himmelmann, G. (2016). Demokratie Lernen. Als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform; ein Lehr- und Studienbuch (Reihe Politik und Bildung, Band 22, 4. Auflage). Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.

Roos, L. (1981). Die Grundwerte der Demokratie und die Verantwortung der Christen. Zugriff am 04.08.2020. Verfügbar unter https://ordosocialis.de/pdf/lroos/DemouVerant/demoveranta4neu.pdf

Rüb, F. W., Selk, V. & Trimҫev, R. (2020). Die Erosion der Demokratie. Beiträge von Michael Th. Greven zur kritischen Demokratietheorie. Wiesbaden: Springer VS.

Thurich, E. (2011). Pocket Politik. Demokratie in Deutschland (4. Aufl.). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

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